Rezension: Tomáš Halík: die Zeit der leeren Kirchen

Tomáš Halík: die Zeit der leeren Kirchen. Von der Krise zur Vertiefung des Glaubens, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2021,207 Seiten

Der tschechische Priester Tomáš Halík, Professor für Soziologie und praktische Theologie, ist weit über die tschechischen Grenzen hinweg bekannt. Auch in Deutschland gehören seine Bücher
mit zu den meistgelesenen theologischen Werken. Spirituell beheimatet ist Halík in der akademischen Gemeinde in Prag. Dort wirkt er seit einigen Jahren als Pfarrer.

Angesichts der Corona Pandemie und des damit einhergehenden Lockdowns musste die Kirche der akademischen Gemeinde vom dritten Fastensonntag an bis zum Pfingstfest geschlossen bleiben.
Es fanden keine Gottesdienste statt. Bewusst entschied sich Halík dagegen in seiner Pfarrei Eucharistiefeiern zu streamen, wie das in vielen anderen Kirchen zu dieser Zeit geschah. Stattdessen predigte er an den Sonn- und Festtagen in der leeren Kirche. Diese Predigten und Reflexionen wurden per Video aufgezeichnet und über Internet verbreitet. Auf diese Weise erreichten die Gedanken Halíks eine Öffentlichkeit weit über die Teilnehmenden an den üblichen Sonntagsmessen hinaus. Seine in der „Zeit der leeren Kirche“ entstandenen Betrachtungen sind nun im Herder Verlag als Buch erschienen und werden so auch für die deutschsprachige Öffentlichkeit zugänglich.

Die einzelnen Predigten ziehen einen schnell in den Bann. Hier spricht ein Theologe, der es versteht die Zeichen der Zeit zu deuten und sie in einen fruchtbaren Dialog mit den Lesungstexten der jeweiligen Sonntage der Fasten- bzw. Osterzeit zu bringen. Hier begegnet man einem Theologen, der es vermag, die die wissenschaftlichen Erkenntnisse unserer Zeit produktiv aufzugreifen und fruchtbar werden zu lassen. So entsteht ein Bild von Glauben-leben, Kirche-sein und Christ-sein, dass einerseits vor dem Intellekt bestehen kann, zudem aber auch ein starkes kirchen– und gesellschaftskritisches Potenzial besitzt.

Es fasziniert, wie klar und entschieden Halík ins Wort bringt, dass die aktuelle Gestalt der Kirche keine Zukunft hat. Die Erfahrungen der geschlossenen Kirchen und der nicht stattgefundenen Gottesdienste in der Corona-Pandemie sind für Halík ein Sinnbild für das was der Kirche in naher Zukunft droht. Halíks mahnt eine grundsätzliche Reform der Kirche an. Kirche wird Abschied nehmen müssen von allem, was nicht mehr trägt. Halík weist darauf hin, dass eine Veränderung der Kirche nicht allein auf die Strukturen zielen darf, sondern aus einer neuen Hinwendung zum Evangelium gespeist sein muss, damit die Kirche, zu einem aktiven Bestandteil des Humanisierungs- und Demokratisierungsprozesses in der Gesellschaft werden kann.

Man merkt Halík an, dass seine Predigten getragen sind von einer gelebten Spiritualität und einem tiefen Grundvertrauen, dass Gott die Welt und die Menschen gut geschaffen hat. Ostern, Auferstehung, so Halík, lässt sich, nicht auf ein „Ereignis reduzieren, das einst vor einer langen Zeit eintrat und endete. (…) Auferstehung, der Sieg Jesu über den Tod setzt sich in der Kirchengeschichte und der Menschheitsgeschichte fort, er fließt durch sie hindurch wie ein unterirdischer Fluss und sprudelt an die Oberfläche in den Ereignissen der belebenden Reform der Kirche, aber auch in den Geschichten der Umkehr von einzelnen Menschen.“ (S. 143)

Dass Buch bietet sich an als spiritueller Begleiter durch die Fasten– und Osterzeit. Aber auch losgelöst davon, macht die Lektüre der einzelnen Predigten Freude. Die Gedanken Kirche eine gute Zukunft hat, wird sie Abschied nehmen müssen von allem, was nicht mehr trägt. Halíks inspirieren, motivieren, machen nachdenklich und lösen produktive Unruhe aus. Angesichts der aktuellen Kirchenkrise laden die Gedanken Halíks dazu ein, mit einem großen Gottvertrauen als pilgerndes Volk Gottes an der Seite der Menschen guten Willens zuversichtlich in die Zukunft zu gehen.

(Veröffentlicht in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Hildesheim, Köln und Osnabrück (7/2021), S. 221f)