Rezension: Damit der Himmel auf die Erde kommen

Paul. M. Zulehner (2020): Damit der Himmel auf die Erde kommen – in Spuren wenigstens. Menschliches Leben inmitten weltanschaulicher Vielfalt, Ostfildern 2020, 256. S,ISBN 978-3-8436-1276-0

In einer repräsentativen Langzeitstudie hat der Pastoraltheologe Paul Michel Zulehner „Religion im Leben der Österreicher*innen im Zeitraum von 1970 – 2020“ untersucht. Unter dem Titel „Damit der Himmel auf die Erde kommt – in Spuren wenigstens“ stellt er zentrale Ergebnisse dieser Studie vor und reflektiert sie aus einer pastoral-theologischen Perspektive.

Die Untersuchung Zulehners wurde in Österreich durchgeführt wurde. Dennoch dürften die Ergebnisse der Studie auch auf andere Länder übertragbar sein. Denn internationale Studien zeigen, dass die Lage in vielen anderen Ländern vergleichbar ist.

Zulehner stellt einleitend fest, dass sich das gesellschaftliche Leben in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausdifferenziert hat. Diese zunehmende „Verbuntung“ und der beständige Wandel sind, so Zulehner, für heutige europäische Kulturen charakteristisch. Die damit einhergehenden Transformationsprozesse stellen eine gewaltige Herausforderung dar, nicht nur für die Kirchen, sondern für die ganze Gesellschaft und darin die Lebensführung der einzelnen Menschen.

Die Studie macht nun deutlich, dass die Art und Weise, wie der einzelne Mensch mit den gesellschaftlichen Herausforderungen umgeht, stark davon abhängt, wie sie ihre Wirklichkeit konstruieren.
Ein wichtiges Merkmal ist dabei die Frage, welche Grundannahmen Menschen über die Endlichkeit des eigenen Lebens haben. Zulehner generiert aus den Daten der Untersuchung drei Typen:
a) „Sterbliche“ sind der Überzeugung, dass ihre Lebenswirklichkeit mit ihrem individuellen Tod definitiv endet.
b)„Unsterbliche“ leben in der Gewissheit, dass der Tod nicht das Ende, sondern eine Art Geburt in eine von Raum und Zeit losgelöste Existenzweise ist.
c) „Ungewisse“ bewegen sich in ihrem Bewusstsein zwischen den Typen A und B. Sie sind sich eben sowohl in die eine als auch die andere Richtung nicht sicher bzw. offen.
Diese Typisierung wird im ersten Kapitel ausführlich entfaltet und beschrieben. In den folgenden Kapiteln legt Zulehner dann dar, dass „Sterbliche“ wie „Unsterbliche“ nicht nur ihre Lebenswirklichkeit anders deuten, sondern dass diese Deutung auch nachhaltige Auswirkung auf die Lebensgestaltung hat.

Das zweite Kapitel widmet sich den Gottesbildern. Nach einer Analyse des Datenmaterials kommt Zulehner zu dem Schluss, dass das Gottesverhältnis, „wenn auch nur in bestimmten Feldern, nachhaltige Auswirkung auf die Gestaltung des persönlichen Lebens und des gesellschaftlichen Zusammenlebens“ hat. Z.B. haben „Gottesanhänger mehr Kinder, leben eher in stabilen Beziehungen, sind mehr als die Atheisten bereit zum solidarischen teilen und verteilen.“ (S.95)

Das dritte Kapitel widmet sich dem Wandel der Kirchengestalt. Hier weist Zulehner u.a. auf die große Bedeutung der sonntäglichen Zusammenkunft christliche Gemeinden hin. „Ob also jemand in unserer Kultur sein persönliches ‚Glaubenshaus‘ gemäß dem Evangelium Jesu Christi einrichtet, hängt eindeutig von der Intensität des Austauschs und mit einer christlichen Gemeinschaft zusammen. Dabei spielt (…) für Katholiken die Eucharistiefeier eine herausragende Rolle.“ (117) Häufiger Besuch der Sonntagsgottesdienste korreliert mit einer hohen Beteiligung bei sonstigen kirchlichen Aktivitäten.

Ein viertes Kapitel geht der Frage nach, welche Rolle die Religiosität, die Weltanschauung und das kirchliche Commitment hinsichtlich der parteipolitischen Präferenz spielt. Die Untersuchung zeigt, dass trotz manchen konfliktträchtigen Auseinandersetzungen zwischen dem kirchlichen und dem staatlichen Bereich, dass das Kirche – Staat – Verhältnis grundsätzlich von Vertrauen und Kooperation geprägt ist und eine enge Zusammenarbeit von Kirche und Staat von einer deutlichen Mehrheit der österreichischen Bevölkerung mitgetragen wird.

Das fünfte Kapitel thematisiert den Islam bzw. die Islamisierung. Es wird deutlich, dass auch der islamische Glauben unter einem enormen Modernisierungsstress steht. Vielen Muslimen geht es nicht anders als den Mitgliedern einer christlichen Kirche in einer nachchristlich, pluralistischen Kultur. Ziel müsse es sein, den Islam inmitten des unvermeidlichen Modernisierungstresses zum Beispiel durch die Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Theologie an den Universitäten zu unterstützen, um auf diese Weise die Kräfte eines friedfertigen Islams zu stützen.

Das sechste Kapitel widmet sich der Frage, wie sich die Kirche die Ergebnisse der Studie für eigene strategische Überlegungen zu eigen machen kann. Hier macht Zulehner darauf aufmerksam, welches Potenzial darin liegt, wenn die Kirche ihre Ritualkompetenz nutzen würde. Denn Rituale spielen im Leben der Menschen eine wichtige Rolle, und das weit über die formelle Kirchenmitgliedschaft hinaus.
Eine lohnende Aufgabe der Kirche sei es demzufolge, eine ebenso zeitgemäße wie gediegene Ritenkultur zu entwickeln.
Angesichts der aus den Daten ablesbaren Abwanderung junger, moderner Frauen stellt Zulehner im Hinblick auf die Frauenfrage einen enormen Handlungsbedarf vor allem für die katholische Kirche (und wo längerfristig auch für die orthodoxe) zu fest. Die Frauenfrage verlange vor allem jüngeren Frauen ein unnötiges kulturelles Martyrium ab.

„Spuren des Himmels“ in der Welt von heute zu finden, das ist das große Anliegen, das Zulehner auch mit seinem hier vorgestellten Buch verfolgt. Auch wenn man manches schon bekannte noch mal liest, so ist es immer wieder anregend, Zulehner in seinen oft überraschenden Deutungen der empirischen Daten zu folgen. Er steht auch mit diesem Buch für eine Theologie, in der die „Welt“ der Ort ist, in der sich Gott uns Menschen zeigt.

Abgedruckt in: Pastoralblatt ()