Rezension: „gesucht: die Pfarrei der Zukunft“

Markus Etscheid-Stams/Björn Szymanowski/ Andrea Qualbrink/ Benedikt Jürgens (Hg.): gesucht: die Pfarrei der Zukunft. Der kreative Prozess im Bistum Essen. Freiburg im Breisgau 2020,394 S., ISBN 978-3451386787

Kirche neu zu denken, ist eine Herausforderung vor der alle deutschen Bistümer stehen. Die Frage, wie sich die Pfarrei auf Zukunft hin transformieren muss, damit sich Kirche vor Ort weiterentwickeln kann, steht somit in vielen Bistümern im Fokus und wird sehr unterschiedlich beantwortet.
Das Bistum Essen hatte bereits 2015 im Zuge eines Diözesan Zukunftskonzeptes und unter einem hohen wirtschaftlichen Handlungsdruck einen alle Organisationsebenen betreffenden Restrukturierungsweg eingeleitet. In diesem Kontext wurde der Zuschnitt der Pfarreien grundlegend neu geordnet. Zwischen 2006 und 2008 erfolgte mit der Gründung großer neuer Pfarreien ein grundlegender Modellwechsel. Seitdem haben sich 42 Pfarreien (von ehemals 326) mit 198 Gemeinden etabliert.
Von 2015-2018 fand dann ein sogenannter Pfarreientwicklungsprozess (PEP) statt. Unter Beteiligung der örtlichen Gremien haben in diesem Zeitraum alle 42 Pfarreien in einem Dreischritt von „Sehen – Urteilen – Handeln“ pastorale Konzeptionen erarbeitet und Pfarreivoten mit einem Planungshorizont 2030 erstellt und beschlossen. Nach Bestätigung der Voten durch den Bischof findet aktuell die Umsetzung der einzelnen Konzepte statt.
Im Kontext des PEP fanden in den Pfarreien ecclesiale Verständigungsprozesse statt, die sich in den jeweiligen Konzepten/Voten widerspiegeln. Die Pfarreivoten wurden in einer Studie durch das Bochumer Zentrum für angewandte pastorale Forschung ausgewertet. Die Ergebnisse der Studie wurden nun, angereichert durch Reflexionen von Expertinnen und Experten verschiedener Disziplinen, veröffentlicht.

Nach einigen einleitenden Anmerkungen wird in einem ersten Teil des Buches die von Björn Szymanowski durchgeführte Studie zu den PEP Voten vorgestellt. Die Studie arbeitet zum einen die zentralen pastoralen Perspektiven und Schwerpunkte aus den Pfarreivoten heraus, zum anderen untersucht die Studie, ob sich in den Pfarreivoten zentrale Implikationen des bistumsweiten Zukunftsbildprozesses wiederfinden, aus dem 2013 auch das diözesane Zukunftsbild für das Bistum Essen entstand.
Methodisch bedient sich Szymanowski der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp A. E. Mayring. Dabei werden auf induktivem Weg, also aus dem Material der Pfarreivoten heraus, Kategorien gebildet, die als Grundlage für eine Zusammenfassung fungieren. Die auf diese Weise komprimierten Inhalte, werden unterteilt in fünf Oberkategorien (spirituell, pastoral, liturgisch, intra-organisational, inter-organisational) und 17 Kategorien vorgestellt.
Auf diese Weise zeigen sich zentrale Inhalte der 42 untersuchten Pfarreivoten. Inhaltlich tauchen hier nahezu alle Themen auf, die innerhalb der Pastoral Theologie zurzeit diskutiert werden.
Das lokale Kirchenentwicklung eine hoch komplexe Wirklichkeit ist, davon zeugen die facettenreichen Meta-Reflexionen im zweiten Teil des Buches. Er sammelt Beiträge von Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachdisziplinen, die auf die Studie und ihre Inhalte reagieren. Gerade diese Resonanzen und die reflektierenden Gedanken aus den unterschiedlichen fachlichen Perspektiven sind es, die das Buch besonders lesenswert und interessant werden lassen.
Auch wenn die Ausführungen der unterschiedlichen Autorinnen und Autoren an die Studie zu den Pfarreivoten im Bistum Essen anknüpfen, so finden sich hier in Hülle und Fülle grundsätzliche Überlegungen und Problemanzeigen, die weit über das Bistum Essen hinaus Bedeutung und Geltung haben.
So zeichnet z.B. Martin Belz nach, wie historische Entwicklung des letzten Jahrhunderts noch heute in die pastoralen Überlegungen vor Ort hineinwirken.
Bernhard Sven Anuth fordert unter Verweis auf das Kirchenrecht dazu auf, Partizipationsmöglichkeit im Kontext der lokalen Kirchenentwicklung realistisch einzuschätzen. Thomas Wienhardt mahnt eine Stärkung der Pfarreivoten durch Qualitätsentwicklung an, damit die Voten Wirkung entfalten können. Bernd Halfa und Markus Kappes beschreiben Tools mit deren Hilfe, die in den Pfarreivoten formulierten Leitbilder Wirklichkeit werden können.
In einem abschließenden, systematisch zusammenfassenden Beitrag beschreiben die Herausgeber des Bandes sechs Wegmarken, die aus ihrer Perspektive für die Suche nach einer Pfarrei der Zukunft besondere Bedeutung haben. Hier bekommt man nochmals eine komprimierte und zugespitzte Zusammenfassung zentraler Aussagen.

Es ist ein Verdienst des Bistum Essens, dass es in den letzten Jahren immer wieder sehr gezielt pastorale Prozesse wissenschaftlich begleiten lässt und die daraus resultierenden, wissenschaftlichen Reflexionen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Auf diese Weise wird pastorales Lernen über die Bistumsgrenzen hinaus ermöglicht. Durch den Dialog mit der wissenschaftlichen Pastoraltheologie wird Wissen generiert, dass für die Entscheidungen pastoraler Verantwortlicher eine fundierte Grundlage bietet.

Gesucht: die Pfarrei der Zukunft – so der Titel des Buches. Ein klares Bild der Pfarrei der Zukunft können die Autoren der Beiträge noch nicht zeichnen. Aber es zeigen sich Hinweise darauf, wie der Transformationsweg der Pfarrei von heute in die Pfarrei von morgen beschritten werden kann. Ein Buch für alle, die die aktuellen kirchlichen Transformationsprozesse an den unterschiedlichsten Orten begleiten und (mit-)verantworten.

Frank Reintgen

(abgedruckt in: Pastoralblatt (2/2021), Seite 62f )