Fragmente einer Kirche von Morgen

Eine Spurensuche

Die Katholische Kirche in Deutschland befindet sich schon seit Jahren in einem Veränderungs- und Umbauprozess. Angesichts der massiven gesellschaftlichen Umbrüche wird dieser Prozess eher noch an Fahrt aufnehmen. Wie die kirchliche Landschaft zwanzig Jahren konkret aussehen wird, das kann heute niemand wirklich verlässlich voraussagen. Klar ist nur: Die Veränderungsprozesse werden gewaltig sein.

Mal angenommen, die Entwicklungslinien und Spuren der Veränderungen, die bereits heute im kirchlichen Leben zu entdecken sind, wären auch für die weitere kirchliche Entwicklung von Bedeutung, wie sähe Kirche dann in zwanzig Jahren aus?

  • In zwanzig Jahren wird der Kulturwandel, der bereits heute beginnt, nahezu abgeschlossen sein. Die Kirche wird sich von einer Kirche der Hauptberuflichen zu einer Kirche der freiwillig engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt haben.
  • Man wird sich nur noch schwer vorstellen können, dass Kirche einmal volkskirchlich geprägt war. Dass ein Großteil der deutschen Gesellschaft ganz selbstverständlich Christen waren, ist Geschichte. Menschen entscheiden sich inzwischen sehr bewusst, oft auch erst im erwachsenen Alter, zum Christsein.
  • Zahlreiche lokale Kirchenentwicklungsprozesse werden stattgefunden haben. Hierbei entdeckten Christinnen und Christen ihre Charismen und wurden ermutigt, diese in den Dienst der „Gemeinde“ zu stellen. Kirchliches Leben findet da statt, wo Menschen bereit sind mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung selber initiativ zu werden. Die Bedeutung der Taufberufung hat eine neue Relevanz bekommen für das Selbstverständnis der Christinnen und Christen. Kirche ist hoch kompetent, Menschen zu helfen Ihre je eigene Berufung zu entdecken.
  • Die Rollen von „Laien“ und Priestern bzw. hauptberuflichen Seelsorger haben sich grundlegend verändert. Nicht die Laien helfen den pastoralen Diensten, Gemeinde aufzubauen, sondern die hauptberuflichen kirchlichen Mitarbeiter unterstützen Christinnen und Christen Kirche zu sein. Teams von Christinnen und Christen leiten eigenverantwortlich das gemeindliche Leben vor Ort. Sie werden in Ihrem Tun unterstützt von (wenigen) Priestern und anderen hauptberuflichen kirchlichen Mitarbeitern.
  • Die kirchliche-Landschaft hat sich von einer Monokultur hin zur Artenvielfalt verändert: Es gibt vielfältige und ganz unterschiedliche Orte kirchlichen Lebens. Diese sind mit- und untereinander vernetzt und bilden gemeinsam Kirche in einem Lebensraum. An unterschiedlichen Orten wurden Projekte und Experimente gestartet, die ausloten sollten, wie eine pastorale Neuausrichtung konkret werden könnte. So hat an vielen Orten ein Neulernen begonnen, was es heißt heute Kirche zu sein.
  • Es ist gelungen ganz neue Kommunikations- und Veranstaltungsformen zu etablieren, so dass Kirche wieder in allen gesellschaftlichen Milieus präsent ist.
  • An vielen Orten gibt es soziale, diakonische Projekte. Kirche ist Anwalt der Schwachen und Armen und wird für dieses Engagement geschätzt. Viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich gerade in diesem Feld.
  • Die Eucharistiefeier kann nicht mehr an jedem Sonntag in jeder Gemeinde gefeiert werden. Menschen nehmen weitere Wege in Kauf, um die Messe mitfeiern zu können. Vor Ort finden Wortgottes Feiern statt. Menschen sammeln sich hier um die Heilige Schrift und erleben sich als Gemeinde.
  • Die kirchliche Organisation hat gelernt mit weniger personellen und finanziellen Ressourcen zurechtzukommen. Kirchliche Strukturen sind viel schlanker geworden. Der Gebäudebestand wurde an eine geringere Zahl von Gemeindemitgliedern und die knapper werdenden Finanzressourcen angepasst. Räume wurden modernisiert. Zahlreiche Kirchen werden multifunktional – also nicht nur für die Liturgie – genutzt. Einige Kirchen wurden einer neuen Nutzung zu geführt (Kindergarten, Kolumbarium, Wohnungen, Seniorenwohnheim,…).
  • Dass all dies möglich wurde, lag an Veränderungs-Prozessen, die nacheinander in allen deutschen Diözesen stattgefunden haben. Anfang des Jahrhundert wurde das Wegbrechen der Priesterzahlen, die gleichbleibend hohe Zahl der Kirchenaustritte aber auch die Abnahme der Finanzkraft der Bistümer zu einem starken Treiber der Veränderung. Doch zunehmend wurden neben Strukturveränderungsprozessen auch pastoral-inhaltliche Prozesse angestoßen, bei denen neu über das kirchliche Selbstverständnis nachgedacht wurde.

Aus dieser Aufzählung wird vielleicht deutlich, dass in der aktuellen Krise der Kirche auch die Chance zum Neuaufbruch steckt. Die anstehenden Veränderungen werden sicherlich schmerzhaft werden, weil vieles aufgegeben werden muss, was uns in der Vergangenheit viel bedeutet hat. Nicht zuletzt werden wir damit leben müssen, dass unser gesellschaftlicher Einfluss kleiner wird. Und dennoch kann uns die Krise wieder näher an das Evangelium heranführen.

Das Evangelium in eine kreative Auseinandersetzung mit der Existenz zu bringen, das ist Kernauftrag der Kirche. Eine Kirche, die diesem Auftrag gerecht wird, ist eine lernende Kirche. Immer wieder neu muss sie die Struktur finden, die Menschen zu einer heilsamen Begegnung mit dem Evangelium verhilft. Das Zweite Vatikanische Konzil spricht in diesem Zusammenhang von der „ecclesia semper reformanda“ (= der immer wieder zu reformierenden bzw. zu erneuernden Kirche). So wie der Glaube immer wieder neu in die jeweiligen zeitlichen und gesellschaftlichen Kontexte durchbuchstabiert werden muss, so muss auch die jeweilige Struktur der Kirche den jeweiligen Herausforderungen angepasst werden.

Wenn sich Gemeinden auf solche Entwicklungslinien einstellen wollen, wie sie oben beschrieben wurden, was können sie tun? Wie kann die zukunftsfähig der Kirche vor Ort gestärkt werden? Dazu ein paar stichwortartige Hinweise:

Veränderung (= biblisch Umkehr), ist ein spirituelles Geschehen.

Entdecken Sie miteinander ihre je eigene Berufung! Gehen Sie der Frage nach: Was will Gott von mir/ uns? Welche Möglichkeiten sind mir/ uns von Gott her geschenkt und welcher Auftrag verbindet sich damit an mich/ uns? Spüren sie dem „Charisma des Ortes“ nach an dem Sie leben: Was ist gerade hier bei uns Wevlinghoven sinnvoll, notwendig, hilfreich? )

Freiwilliges Engagement lebt von Wertschätzung und unterstützenden Strukturen.

Geben sie Menschen, die sich ins Gemeindeleben einbringen wollen, Raum. Legen sie Verantwortung mehr und mehr in die Hände von Ehrenamtlichen(-Teams). Finden sie Verantwortliche für Kernprozesse gemeindlichen Lebens (Katechese, Caritas, Liturgie…). Begleiten, schulen und pflegen sie Menschen, die sich bei Ihnen engagieren.Tun sie nichts, was der Übernahme von Selbstverantwortung im Wege steht bzw. diese verhindert! Bzw. tun sie alles, damit die Menschen die Verantwortung für den Glauben und die Seelsorge selbst übernehmen.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben

Veränderungen und Entwicklungen brauchen Zeit. Aber Veränderung braucht auch den ersten Schritt. Warten sie nicht auf die große Lösung sondern gehen Sie kleine Schritte – aber gehen Sie los!

Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile

Suchen sie Kooperationspartner. Schaffen sie Netzwerke innerhalb und außerhalb der Kirche. Alles, was hilft, dem Evangelium Raum zu geben, ist erlaubt. Sie müssen nicht alles alleine machen. Laden sie alle Menschen „guten Willens“ ein, mit initiativ zu werden. Nutzen sie die Möglichkeiten anderer Institutionen, Konfessionen, …

Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht? (Jes 43,19)

Sich von der Vergangenheit zu lösen ist gar nicht so einfach. Doch wer nur auf das blickt, „was früher war“ (aber heute nicht mehr funktioniert), der erlebt die Gegenwart immer defizitär.

Der Prophet Jesaja wirbt dafür, die Perspektive zu wechseln und in Zeiten des Umbruchs vor allem auf das zu schauen, was heute gut geht, was gelingt, wo Neues entsteht. Wer diesen Blick schult und übt, der wird sehr bald erstaunt feststellen: Kirche lebt und wächst.